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Altstadtbrücke

Kriegsgefangenschaft ist ein bisweilen im Gedächtnis der deutschen Mehrheitsbevölkerung wenig verankerter, jedoch massiver Aspekt der Gewaltgeschichte des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs überhaupt. Dies wird ersichtlich, wenn man sich die Zahlen von Augen führt: Von rund 110 Mio. Soldaten, die weltweit im Zweiten Weltkrieg gegeneinander kämpften, gerieten etwa 35 Mio. in Gefangenschaft, wovon etwa 5 Millionen die Gefangenschaft nicht überlebten.

 Der Wehrmacht, die einen Angriffs- und Vernichtungskrieg zur Eroberung von „Lebensraum im Osten“ in Europa führte,  unterstand während des Zweiten Weltkrieges ein eigens geschaffenes System unterschiedlicher Lagertypen im Reichsgebiet und in den besetzten Gebieten: Neben den sog. Dulags (Durchgangslager) gab es u.a. „Oflags“ für Offiziere, „Marlags“ für Angehörige der Marine sowie „Stalags“ (Stammlager für Soldaten und Unteroffiziere).  Die über das gesamte Reichgebiet und auch die besetzten Gebiete verstreuten Lager hatten dazu noch unzählige Außenlager, in denen Kriegsgefangene dezentral untergebracht wurden.

Aus Sicht der Wehrmacht verbanden sich mit der Internierung der Soldaten gegnerischer Armeen vor allem zwei Zwecke: zum einen sollten die gefangengenommenen Soldaten am Weiterkämpfen gehindert werden. Zum anderen hatten Kriegsgefangene eine mit dem Kriegsverlauf zunehmende wirtschaftliche Bedeutung: Das Deutsche Reich nutzte die Kriegsgefangenen als billige Arbeitskräfte, die die ausfallende Arbeitskraft der an der Front in der Wehrmacht kämpfenden einheimischen Männer kompensieren sollten. Die Komplexe NS-Kriegsgefangenschaft und NS-Zwangsarbeit sind daher eng miteinander verbunden.

Die Behandlung der Kriegsgefangenen in den Lagern und den Einsatzorten als Zwangsarbeiter war dabei unterschiedlich und stand in Abhängigkeit der sog. „Rassenskala“, nach denen die nationalsozialistische Ideologie die „Wertigkeit“ von Menschen bemaß: Während Gefangene westlicher Staaten – mit Einschränkungen und häufig nicht konsequent – nach den Bestimmungen der sog. Genfer Konvention von 1929 behandelt wurden, die auch die Nationalsozialisten ratifiziert hatten, wurden die als „minderwertig“ angesehenen Angehörigen der Roten Armee oder die als „Verräter“ geltenden sog. „Italienischen Militärinternierten“ (IMI) unter meist entsetzlichen Bedingungen interniert und unter besonders schlimmen Umständen zur Zwangsarbeit herangezogen.

Wie immer hat die „große“, abstrakte Gewaltgeschichte der NS-Kriegsgefangenschaft auch in Görlitz und der heutigen deutsch-polnischen Grenzregion eine lokale Dimension. Wie in beinahe allen anderen deutschen Städte gibt es auch in Görlitz und Umgebung unterschiedliche Orte, die mit Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg verbunden sind. Diese erkunden wir von der Altstadtbrücke aus, die heute wieder den polnischen und den deutschen Stadtteil miteinander verbindet: Dazu gehören ein Dulag, in dem polnische Armeeangehörige im September 1939 untergebracht waren; das Stalag VIII A, durch das von 1939 bis 1945 Bestand hatte und in welchem etwa 120.000 Kriegsgefangene unterschiedlicher Zugehörigkeit registriert wurden; dazu gehören aber auch Friedhöfe, auf denen verstorbene Kriegsgefangene begraben wurden.