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Zwei Jahre nach der Invasion

Zwei Jahre nach der Invasion

Es erscheint unwirklich, dass im 21. Jahrhundert ein Krieg in der Mitte Europas geführt wird. Raketen, Panzer, Drohnen – das alles gibt es anderswo, aber nicht in Europa.

Am 24. Februar sind bereits zwei Jahre seit dem Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine vergangen. Der Krieg, der eigentlich drei Tage dauern und mit der Kapitulation Kyjiws enden sollte, dauert nun schon seit mehr als 730 Tagen an. Seit mehr als 730 Tagen kämpfen Ukrainer:innen um die Existenz ihres Landes, ihres Volkes, ihrer Identität, ihrer Kultur und ihrer Sprache und zahlen dafür den höchsten Preis. Es sind 10 Jahre seit der Annexion der Krim, 10 Jahre seit der Besetzung des Donbass, der Verteidigung des Flughafens von Donezk, Debaltseve und Illovaisk vergangen. Der Krieg begann schon 2014, aber erst mit dem Beginn der groß angelegten Invasion änderte sich das Bild des Westens und der westlicher Medien und Institutionen. Erst dann begann man Russland als Kriegstreiber zu bezeichnen.

Anlässlich des sich zum zweiten Mal jährenden Beginn dieser Invasion wird auf der ganzen Welt, auch in Deutschland mit Protestaufmärschen auch der Opfer gedacht.

Das deutsche Credo „Nie wieder“ welches sich auf die schrecklichen Gräueltaten, die von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg begangen wurden, ist eine Art und Weise des Gedenkens, welches an alljene erinnert, die während des Zweiten Weltkriegs gegen den Nationalsozialismus gekämpft haben.

Dabei geht es vornehmlich darum der individuellen Opfer –  der Menschen – zu gedenken und im Gegensatz zum russischen Militärkult-Kult, der auch in viele gesellschaftliche Bereiche hineingreift steht, in dem es statt eines Gedenktages für die Kriegsopfer einen Tag des Sieges gibt.

Eine der am meisten gefährdeten Gruppen in jedem Krieg sind Kriegsgefangene, und der russisch-ukrainische Krieg ist da keine Ausnahme. „Derzeit befinden sich über 8.000 Menschen in russischer Gefangenschaft, darunter über 1.600 Zivilisten. Zehntausende Menschen, sowohl Zivilisten als auch Kriegsgefangene, haben jedoch den Status von Vermissten„, sagte Jurij Taranjuk (Vertreter der Koordinationszentrale für die Behandlung von Kriegsgefangenen) während einer Sitzung des Rates für Menschenrechte, Gleichberechtigung und Vielfalt im Außenministerium der Ukraine im Januar 2024. Ihm zufolge werden Zehntausende Menschen vermisst. Gleichzeitig verstößt Russland ebenfalls gegen die Menschenrechte, indem es die Gefangennahme nicht meldet. Das bedeutet, es befindet sich eine große Anzahl dieser zehntausender vermisster Menschen aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls in russischer Gefangenschaft„, sagte Taranyuk.

Hält sich Russland an die auch für Kriegsgefangene geltende Genfer Konvention? Eine Antwort auf diese Frage lässt sich in den Berichten von Ukrainern, die aus der Gefangenschaft zurückgekehrt sind, und in ihrem Zustand finden. Es gibt zahlreiche Berichte über unmenschliche Bedingungen, Gewalt, Folter, Kontaktverbot zu anderen Kriegsgefangenen. Der Zugang von internationalen Hilfsorganisationen zu den Kriegsgefangenen bleibt verwehrt. Dies sind allgemein bekannte und bestätigte Fakten.

Der bisherige Höhepunkt der Gewalt gegen ukrainische Kriegsgefangene ereignete sich in der Nacht des 29. Juli 2022 in Olenivka. Nach einem Bericht des Fernsehsenders Nasue Vremia wurde eine der Baracken der Strafkolonie im Dorf Olenivka in der Region Donezk zerstört, wobei mindestens 53 der 193 dort festgehaltenen ukrainischen Kriegsgefangenen, darunter auch Gefangene aus Azovstal, getötet wurden, so berichtet der TV-Sender Nastojaschtscheje Wriemia. Russland behindert weiterhin die Untersuchung der öffentlich bekannten Hinrichtung von ukrainischen Kriegsgefangenen in der von den russischen Besatzungstruppen kontrollierten Gefangenenlager in Olenivka. Es gibt fast keine Informationen über die Gefangenen, die die Zerstörung überlebt haben. Ihr Schicksal ist unbekannt. Diese schreckliche Ungewissheit, die durch Verstöße Russlands gegen die Genfer Konvention kreiert wird, gilt ebenfalls für die Schicksale tausender deportierter ukrainischer Kinder aus den besetzten Gebieten nach Russland, deren genauer Status und Aufenthaltsort unbekannt ist.

Was ist also der Sinn von all dem? Wenn der Krieg nur Leid, Opfer, Tod und Zerstörung bringt. Warum unterschreibt die Ukraine nicht einfach einen Waffenstillstand zu russischen Bedingungen? Die Antwort auf diese Frage gibt die Geschichte des ukrainischen Volkes: Kolonisierung, Verbot der ukrainischen Sprache, die Zerstörung der Elite, der Völkermord des Holodomor- das alles hat es unter der Sowjetherrschaft schon einmal gegeben. Jetzt scheint dies ein schreckliches, aber mögliches Zukunftsszenario für das Land. Unter einer russischen Besatzung kann jede ukrainische Stadt und jeder Ort ein neues Bucha oder Mariupol werden. Die Ukrainer:innen haben keine andere Wahl, als für ihr eigenes Land, die Demokratie und ihre Werte und ihre schiere Existenz zu kämpfen.

Für Europa und die Welt liegen die Folgen auf der Hand: eine neue Welle von Millionen von Flüchtlingen, eine künftig mögliche Aggression gegen Polen und die baltischen Staaten, eine Bedrohung der Grundsätze der Demokratie und das weitere Anwachsen rechtspopulistischer Parteien, einschließlich derer, die von Russland finanziert werden.

Das heißt, wenn der Westen seine Unterstützung für die Ukraine nicht erhöht und schneller reagiert, ist die otschaft an andere autokratische Regime und terroristische Organisationen wohl, dass Verstöße gegen das Völkerrecht keine Konsequenzen haben und dass der Westen nicht stark genug ist, was neue Krisen in der Welt provozieren und die bestehenden verschärfen wird.

 

Autorin: Mariana Yavorska, Projektmitarbeiterin des Meetingpoint Memory Messiaen e.V.

Übersetzung: Mateusz Kowalinski, Alexandra Grochowski